Das Verwaltungsgericht Würzburg hältmit Beschluss vom 18.09.2020 (Az.: W 8 S 20.1325) die Quarantäneanordnung gegen die dortige Antragstellerin als sog. "Kontaktperson I" aufrecht, obwohl diese einige Monate zuvor selbst an Covid erkrankt und zwischenzeitlich wieder genesen war. Unberücksichtigt ließ das Verwaltungsgericht, dass die Klägerin aufgrund der Quarantäneanordnung an der Hochzeit ihres Bruders nicht teilnehmen konnte.
Dem Beschluss lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Die Antragstellerin stand am 6. September 2020 in Kontakt mit einer Person, die positiv auf das SARS-CoV-2-Virus (Coronavirus) getestet wurde. Mit Schreiben vom 10. September 2020 wurde der Antragstellerin mitgeteilt, dass sie sich als Kontaktperson der Kategorie I mit engem Kontakt zu einem COVID-19-Fall vorübergehend in häusliche Quarantäne zu begeben habe.
Die Antragstellerin wurde am 11. September sowie 14. September 2020 auf das Coronavirus getestet. Die Testergebnisse waren jeweils negativ. Am 15. September 2020 legte die Antragstellerin beim Landratsamt M. Widerspruch gegen die Anordnung der häuslichen Quarantäne ein sowie beim Bayerischen Staatsministerium für Gesundheit und Pflege Widerspruch gegen die Allgemeinverfügung vom 18. August 2020. Zur Begründung ließ die Antragstellerin ausführen, dass sie nicht als Kontaktperson der Kategorie I einzuordnen sei, da der Kontakt mit der infizierten Person nicht so eng gewesen sei, wie vom RKI in seiner Veröffentlichung zur Einordnung einer Person als Kontaktperson der Kategorie I gefordert werde. Im Übrigen sei darauf hinzuweisen, dass die Antragstellerin bereits im März 2020 eine COVID-19-Erkrankung gehabt habe, denn ihr Freund sei seinerzeit nachweislich positiv getestet worden und die Antragstellerin habe ebenfalls typische COVID-19-Symptome gezeigt. Eine Quarantäne sei daher nicht erforderlich. Die Antragstellerin wolle an der standesamtlichen und kirchlichen Hochzeit ihres Bruders teilnehmen. Am 16. September 2020 fand die standesamtliche Trauung des Bruders der Antragstellerin statt, am 19. September 2020 ist die kirchliche Trauung.
Die Antragsabweisung begründete das Verwaltungsgericht Würzburg auszugsweise wie folgt:
Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Außervollzugsetzung der in der Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 18. August 2020 angeordneten Pflicht zur häuslichen Isolation von Kontaktpersonen der Kategorie I aufgrund eines engen Kontaktes zu einem bestätigten Fall von COVID-19 für 14 Tage seit dem letzten Kontakt zu dieser Person.
Mit Allgemeinverfügung vom 18. August 2020 zur Isolation von Kontaktpersonen der Kategorie I, von Verdachtspersonen und von positiv auf das Coronavirus getesteten Personen erließ das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege unter anderem folgende Regelungen: betroffene Personen im Sinne der Allgemeinverfügung sind unter anderem Personen, denen vom Gesundheitsamt mitgeteilt wurde, dass sie aufgrund eines engen Kontakts zu einem bestätigten Fall von COVID-19 nach den jeweils geltenden Kriterien des Robert-Koch-Instituts Kontaktpersonen der Kategorie I sind (Nr. 1.1 der Allgemeinverfügung). Kontaktpersonen der Kategorie I müssen sich unverzüglich nach der Mitteilung des Gesundheitsamtes gemäß Nr. 1.1 und bis zum Ablauf des 14. Tages nach dem vom Gesundheitsamt mitgeteilten letzten Kontakt mit einem bestätigten COVID-19-Fall, in Isolation begeben, sofern keine anderweitige Anordnung des Gesundheitsamts erfolgt (Nr. 2.1.1). Bei Kontaktpersonen der Kategorie I, bei denen kein positives Testergebnis auf das Vorhandensein von Coronavirus SARS-CoV-2 vorliegt, endet die häusliche Isolation, wenn der enge Kontakt zu einem bestätigten COVID-19-Fall mindestens 14 Tage zurückliegt und während der Isolation keine für COVID-19 typischen Krankheitszeichen aufgetreten sind. Hierüber entscheidet das Gesundheitsamt. Im Falle eines positiven Testergebnisses endet die Isolation bei asymptomatischem Krankheitsverlauf frühestens zehn Tage nach Erstnachweis des Erregers, bei leicht symptomatischem Krankheitsverlauf frühestens zehn Tage nach Symptombeginn und Symptomfreiheit seit mindestens 48 Stunden (definiert als nachhaltige Besserung der akuten COVID-19-Symptomatik gemäß ärztlicher Beurteilung). Hierüber entscheidet das Gesundheitsamt (Nr. 6.1).
Bei verständiger Würdigung des Vorbringens der Antragstellerin (§ 122 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 88 VwGO) ist der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Allgemeinverfügung vom 18. August 2020 sachgerecht dahingehend auszulegen, dass sie die Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer noch zu erhebenden Anfechtungsklage gegen die Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 18. August 2020, GZ6a-G8000-2020/572 begehrt.
Der so verstandene Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist jedenfalls nicht begründet, da das öffentliche Interesse am Vollzug der angegriffenen Allgemeinverfügung das private Interesse der Antragstellerin an deren Aussetzung überwiegt.
Im Einzelnen:
Der Antrag ist jedenfalls nicht begründet.
Das Gericht trifft auch im Falle des § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO eine eigene originäre Entscheidung unter Abwägung der Interessen des Antragstellers und des Antragsgegners sowie der Interessen etwa betroffener Dritter und der Allgemeinheit. Bei offensichtlicher Aussichtslosigkeit des Rechtsbehelfs in der Hauptsache überwiegt in der Regel das Vollzugsinteresse, umgekehrt überwiegt bei offensichtlicher Erfolgsaussicht des Rechtsbehelfs in der Hauptsache das Aussetzungsinteresse des Antragstellers. In Fällen der gesetzlichen Sofortvollzugsanordnung unterscheidet sich indes die Interessenabwägung des Gerichts von derjenigen, die in den Fällen einer behördlichen Anordnung stattfindet. Während im Anwendungsbereich § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO bei der Interessenabwägung die Grundsatzentscheidung des Gesetzgebers für die aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen bedeutsam wird, ist in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 VwGO zu beachten, dass der Gesetzgeber diesbezüglich einen grundsätzlichen Vorrang des Vollziehungsinteresses angeordnet hat und es deshalb besonderer Umstände bedarf, um eine hiervon abweichende Entscheidung zu rechtfertigen (siehe Kopp/Schenke, VwGO, 26. Aufl. 2020, Rn. 152a; BVerfG, B.v. 10.10.2003 - 1 BvR 2025/03 - juris; BVerwG, B.v. 14.4.2005 - 4 VR 1005/04 - juris). Die einfachgesetzliche Ausgestaltung wirkt sich mithin auf die Anforderungen an die Interessenabwägung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren aus. Hat sich der Gesetzgeber - wie hier in § 28 Abs. 3 IfSG i.Vm. § 16 Abs. 8 IfSG - für den Sofortvollzug entschieden, sind die Gerichte neben der Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu einer Einzelfallbetrachtung grundsätzlich nur im Hinblick auf solche Umstände angehalten, die von den Beteiligten vorgetragen werden und die Annahme rechtfertigen können, dass im konkreten Einzelfall von der gesetzgeberischen Grundentscheidung ausnahmsweise abzuweichen ist.
Gemessen an diesen Grundsätzen überwiegt im vorliegenden Fall das öffentliche Vollzugsinteresse das private Aussetzungsinteresse der Antragsteller. Denn die angegriffene Allgemeinverfügung vom 18. August 2020 ist bei der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO allein möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung rechtmäßig und verletzt die Antragstellerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Die Allgemeinverfügung findet bei summarischer Prüfung ihre Rechtsgrundlage in § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG, deren Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind und sie ist darüber hinaus in den hier insbesondere maßgeblichen Nummern 1.1, 2.1.1 und 6.1 auch verhältnismäßig (vgl. so auch VG Regensburg, B.v. 3.9.2020 - RN 14 S 20.1917 - BeckRS 2020, 21548). Die grundsätzliche Anordnung zur häuslichen Isolation der Antragstellerin ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Eine Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus (Coronavirus) und die hierdurch hervorgerufene Lungenkrankheit COVID-19 stellt ohne weiteres eine übertragbare Krankheit im Sinne des § 2 Nr. 3 IfSG dar, sodass der Anwendungsbereich des 5. Abschnitts des Infektionsschutzgesetzes, der sich mit der Bekämpfung übertragbarer Krankheiten befasst, eröffnet ist.
Nach § 28 Abs. 1 IfSG trifft die zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaßnahmen, insbesondere die in den §§ 29 bis 31 IfSG genannten, wenn Kranke, Krankheitsverdächtige, ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt werden, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist; sie kann insbesondere Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten (Satz 1). Es handelt sich bei der Bestimmung des § 28 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 IfSG n.F. um eine Generalklausel, die die zuständigen Behörden zum Handeln verpflichtet. Nur hinsichtlich Art und Umfang der Bekämpfungsmaßnahmen - „wie“ des Eingreifens - ist der Behörde ein Ermessen eingeräumt. Die Behörde muss ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermessensermächtigung im Interesse des effektiven Schutzes des Lebens und der Gesundheit der Bevölkerung unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ausüben. Hieran bestehen für die Kammer bei summarischer Prüfung keine durchgreifenden Zweifel (i.E. auch VG Regensburg a.a.O., Rn. 26 ff.).
Bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit ist entsprechend der allgemeinen sicherheitsrechtlichen Grundsätze zu beachten, dass an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts umso geringere Anforderungen zu stellen sind, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist.
Da es nach wie vor weder einen Impfstoff noch eine wirksame Therapie gegen eine COVID-19-Erkrankung gibt und insbesondere bei älteren oder vorerkrankten Menschen ein erhöhtes Risiko eines schweren möglicherweise lebensbedrohlichen Verlaufs der Erkrankung besteht (vgl. https://www.rki.de/ DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikogruppen.html) und es sich bei der Verbreitung des Coronavirus um eine sehr dynamische Situation handelt, sind geeignete Maßnahmen zur Eindämmung und Verlangsamung der Ausbreitung zu ergreifen, um etwaige Risikogruppen wirksam zu schützen, was ohne weiteres einen legitimen Zweck darstellt. Um diesen zu erreichen ist eine häusliche Isolation etwaiger Kontaktpersonen eine geeignete Maßnahme zur Unterbrechung von möglichen Infektionsketten.
Dabei ist es vor dem Hintergrund der Inkubationszeit von 10-14 Tagen (vgl. https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.html) und der Möglichkeit unzutreffender Negativtestungen jedenfalls bei summarischer Prüfung nicht zu beanstanden, wenn bei Kontaktpersonen der Kategorie I im Sinne der Allgemeinverfügung und der entsprechenden Definition des Robert-Koch-Instituts (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Kontaktperson/Management.html#doc13516162bodyText7; Stand: 9.9.2020), nämlich Personen mit engem Kontakt unter anderem Personen mit kumulativ mindestens 15-minütigem Gesichts („face-to-face“) Kontakt mit einem bestätigten COVID-19-Fall, z.B. im Rahmen eines Gesprächs, generell einer häuslichen Isolation von 14 Tagen ab dem nachgewiesenen letzten engen Kontakt (vgl. Nr. 6.1 der Allgemeinverfügung) unterworfen werden, auch wenn diese gegebenenfalls negativ auf das Coronavirus getestet wurden. Die Verhältnismäßigkeit wird zudem dadurch gewahrt, dass eine häusliche Isolation nur dann zu erfolgen hat, sofern keine anderweitige Anordnung des Gesundheitsamtes erfolgt (Nr. 2.1.1 der Allgemeinverfügung).
Selbst wenn man zu dem Schluss käme, dass die Erfolgsaussichten einer Hauptsacheklage im Hinblick darauf, dass auch negativ getestete Kontaktpersonen der Kategorie I trotz negativer Testung 14 Tage in häuslicher Isolation bleiben müssen, offen wären, so fiele eine dann vorzunehmende Interessenabwägung jedenfalls im Hinblick auf die Regelungen Nr. 2.1.1 und 6.1 der Allgemeinverfügung zu Lasten der Antragstellerin aus. In Rede stehen vorliegend hochrangige Gemeinschaftsgüter, wie etwa der Schutz der Gesundheit der Bevölkerung sowie ein funktionsfähiges Gesundheitswesen. Diese überwiegen vorliegend die Interessen der Antragstellerin aus Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG (vgl. zu letzterem Kießling in Kießling, IfSG, 1. Auflage 2020, § 30 Rn. 29; VG Hamburg, B.v. 13.5.2020 - 15 E 1967/20 - BeckRS 2020, 8685 Rn. 35).
Nach alledem war der Antrag abzulehnen.