OLG Stuttgart: Staat haftet womöglich für Impfschäden

Mit nunmehr veröffentlichtem Urtel hat das Oberlandesgericht Stuttgart am 25.06.2024 (Aktenzeichen: 1 U 34/23) das Verimpfen von Corona-Impfstoffen im Rahmen der nationalen Impfstrategie durch hierzu beauftragte Ärzte als hoheitliche Tätigkeit angesehen und damit eine Klage gegen den Impfarzt abgewiesen. Konkret war die beklagte Ärztin in einem an ein Impfzentrum angegliedertes mobilen Impfteam tätig. Ob der Staat (Bundesrepublik Deutschland) im konkreten Fall haftet, wurde vom OLG nicht geklärt. Der Rechtsstreit wurde jedenfalls der Bundesrepublik verkündet.

Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde:

 

Die Klägerin absolvierte in einer Pflegeeinrichtung eine Ausbildung zur Kranken- und Altenpflegerin. Die Beklagte impfte die Klägerin in der Pflegeeinrichtung mit dem Impfstoff des Unternehmens BioNTech/Pfizer (Comirnaty) gegen COVID-19. Die dortige Pflegedienstleiterin hatte der Klägerin am 21.12.2020 ein vom Deutschen Grünen Kreuz in Kooperation mit dem Robert-Koch-Institut (RKI) erstelltes „Aufklärungsmerkblatt Zur Schutzimpfung gegen COVID-19 […] – mit mRNA-Impfstoff – Stand: 09. Dezember 2020“ mit dazugehörigem Anamnesebogen ausgehändigt. Die Klägerin füllte diese Unterlagen am selben Tag aus, unterschrieb sie und reichte sie zurück.

 

Auf dem Anamnesebogen beantwortete die Klägerin alle Fragen mit „nein“ und kreuzte folgende Optionen an:

 

- Ich habe keine weiteren Fragen.

- Ich willige in die vorgeschlagene Impfung gegen COVID-19 mit mRNA-Impfstoff ein.

 

Folgende Optionen kreuzte sie dagegen nicht an:

 

- Ich lehne die Impfung ab.

- Ich verzichte ausdrücklich auf das ärztliche Aufklärungsgespräch.

 

Nach Weihnachten 2020 hatte die Klägerin etwa eine Woche Urlaub. Am 05.01.2021 fand in der Pflegeeinrichtung eine vorbereitende Informationsveranstaltung der Beklagten über die Impfungen statt, an der die Klägerin nicht teilnahm. Im Vorfeld der Veranstaltung kam es zu einem Telefonat zwischen der Klägerin und der Pflegedienstleiterin, der Zeugin … Die erste Corona-Impfung der Klägerin durch die Beklagte erfolgte am 16.01.2021, die zweite am 06.02.2021. Jeweils unmittelbar vor den Impfungen wurde der Klägerin der durch sie bereits ausgefüllte Aufklärungsbogen wieder ausgehändigt, den sie sodann zur jeweiligen Impfung mitbrachte. Die Klägerin richtete bei den beiden Impfterminen keine weiteren Fragen an die Beklagte.

 

Vom 07. bis zum 11.02.2021 befand sich die Klägerin in stationärer Behandlung in einem Klinikum. Dort wurden Untersuchungen durchgeführt und folgende Diagnosen gestellt:

 

„Verdacht auf Impfreaktion bei unmittelbar vorausgehender Vakzinierung mit Comirnaty, COVID-19-mRNAImpfstoff […] / klinisch mit geringgradiger, sensomotorischer Hemiparese links und geringer Gangunsicherheit / vom Verteilungsmuster am ehesten einer Läsion des cervikalen Myelons zuzuordnen / ohne Nachweis im MRT / therapeutisch über 3 Tage jeweils 1000 mg Methylprednisolon“.

 

Das Klinikum machte eine Meldung an das Gesundheitsamt sowie das Paul-Ehrlich-Institut und verschrieb der Klägerin Vitamin D.

 

Am 22.02.2021 stellte sich die Klägerin auf Veranlassung ihrer Hausärztin bei der Fachärztin für Neurologie vor. Diese verschrieb der Klägerin, bei der eine Medikation mit Novalgin bestand, das Medikament Pregabador. Im Arztbrief von Frau … (Anlage K7, Bl. 11 f. Anlagenheft Klägerin) ist festgehalten, dass zum Zeitpunkt der ambulanten Untersuchung am 22.02.2021 „kein sicheres fokal-neurologisches Defizit nachgewiesen werden“ konnte. Im Verlauf der dreitägigen hochdosierten Glukokortikoidpulstherapie habe sich „eine komplette Rückbildung der […] aufgetretene[n] dezente[n] linksseitige[n] Hemisymptomatik“ gezeigt. Außerdem ist ausgeführt: „Zusammenfassend trat die dezente, linksseitige Hemisymptomatik im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Verabreichung von der Comirnatylmpfung auf. Somit könnte ein zeitlicher Zusammenhang mit der Impfung gesehen werden, ein sicherer organpathologischer Befund bis auf dezente linksseitige Hemisymptomatik ließ sich nicht sicher nachweisen. Somit ist die Frage eines ursächlichen Zusammenhangs nicht mit endgültiger Sicherheit zu beantworten, jedoch als sehr wahrscheinlich anzusehen.“

 

Ebenfalls am 22.02.2021 wurde bei der Klägerin in der Radiologie … eine Computertomographie mit folgendem Ergebnis durchgeführt: „Altersentsprechendes cCT nativ, kein Nachweis einer intrakraniellen Blutung“ (Anlage K8, Bl. 13 Anlagenheft Klägerin).

 

In der Folgezeit war die Klägerin bei verschiedenen Ärzten und Kliniken sowie in einer Reha-Einrichtung in Behandlung. Das Vorliegen eines Impfschadens wurde unterschiedlich beurteilt. Die Hausärztin stellte der Klägerin fortlaufend Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen aus.

 

Die Klägerin hat in erster Instanz vorgetragen, sie sei von der Pflegedienstleiterin, der Zeugin …, am 21.12.2020 während einer Weihnachtsfeier der Bewohner ihres Wohnbereichs regelrecht abgefangen worden, um ihr den Impfaufklärungsbogen auszuhändigen. Die Zeugin habe sie dazu gedrängt, die Aufklärung zügig durchzulesen, zu unterschreiben und abzugeben. Sie habe Bedenken gegenüber der COVID-19-Impfung gehabt, weil sie im September 2020 eine Tetanus-Impfung nicht gut vertragen habe, was sie der Zeugin … auch gesagt habe. Diese habe erwidert, sie brauche keine Bedenken zu haben, weil die COVID-19-Impfung nicht so schlimm sei, zudem werde noch eine Ärztin zur Aufklärung ins Haus kommen. Dass die Klägerin im Aufklärungsbogen angekreuzt habe, keine weiteren Fragen zu haben, habe sich auf die Pflegedienstleiterin bezogen. Auf das ärztliche Aufklärungsgespräch habe sie dagegen bewusst nicht verzichtet.

 

Am 05.01.2021, dem Tag der Aufklärungsveranstaltung, sei sie massiv erkältet gewesen. Dies habe sie der Zeugin … am Telefon gesagt. Diese habe auf die Frage der Klägerin, wann sie zu der Aufklärungsveranstaltung kommen solle, erwidert, dass sie wegen Krankheit die Pflegeeinrichtung nicht betreten dürfe. Des Weiteren habe die Zeugin … in diesem Zusammenhang mitgeteilt, dass sich die Ärztin im Laufe des Tages telefonisch bei der Klägerin zur Aufklärung melden werde, was nicht geschehen sei. Abends habe sich die Zeugin … telefonisch bei ihr gemeldet und gesagt, dass wegen des schon ausgefüllten Aufklärungsbogens keine telefonische Aufklärung mehr nötig sei.

12Die Klägerin hat behauptet, sie habe vor allem wegen der vorausgegangenen Tetanus-Impfung allergrößten Wert auf eine detaillierte, substantiierte und ausführliche Aufklärung durch die Beklagte gelegt. Sie habe allerdings keinerlei Gelegenheit für weitere Informationen durch ein persönliches Gespräch mit der Beklagten gehabt. Vor Vornahme der Impfung seien ihr von der Beklagten keine Fragen gestellt worden. Dies sei auch gar nicht möglich gewesen, weil an diesem Tag die gesamte Belegschaft der Einrichtung, insgesamt ca. 250 Personen, geimpft worden seien.

 

Das gleiche gelte für die zweite Impfung am 06.02.2021. Die Klägerin hat vorgebracht, noch während des zweiten Impfvorgangs am 06.02.2021 habe ihr linker Oberarm regelrecht gebrannt. Der linke Arm sei überhitzt gewesen, und dieses Gefühl habe sich bis in den Kopf hineingezogen. Nach kürzester Zeit seien auch die Beine schwer geworden.

 

Die Klägerin habe sich insgesamt schwach gefühlt und nicht getraut, Auto zu fahren. Sie habe im linken Arm zunächst ein Kribbeln und am Abend desselben Tages links in Arm und Bein Lähmungserscheinungen verspürt. Am nächsten Morgen seien die Beschwerden noch schlimmer geworden, weshalb die Klägerin in das …Klinikum … verbracht worden sei. Während der Untersuchungen dort sei die Klägerin ohnmächtig geworden.

 

Die Klägerin behauptete, sie leide infolge der Impfung an einer Autoimmunkrankheit in Form einer Enzephalitis, die neurologische Ausfälle und Lähmungserscheinungen vor allem in den Beinen und in der linken Gesichtshälfte hervorrufe, sowie unter einer chronischen demyelinisierenden Polyneuropathie und einer Blasenschwäche. Sie sei deshalb auf Dauer arbeitsunfähig. Zwar seien in der Zwischenzeit immer wieder Verbesserungen ihres Zustands eingetreten, bedauerlicherweise träten allerdings auch immer wieder Schübe der Verschlechterung ein.

 

Die Klägerin vertrat die Ansicht, sie sei von der Beklagten in keiner Weise über die Risiken der Impfung aufgeklärt worden, weshalb ihre Einwilligung unwirksam sei. Die Beklagte sei ihr daher zur Zahlung von Schadensersatz verpflichtet. Aufgrund ihrer Beschwerden und Beeinträchtigungen sei zudem ein Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 50.000,00 EUR angemessen und gerechtfertigt.

 

Die Klägerin hat in erster Instanz beantragt:

1.Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin [ein] angemessenes Schmerzensgeld zu bezahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, das aber einen Betrag von 50.000,00 € nicht unterschreiten sollte, zzgl. hieraus Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit Rechtshängigkeit.

 

2.Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 53.658,35 € zzgl. hieraus Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

 

3.Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ab 01.01.2023 bis zum 01.04.2070, 7.055,45 € vierteljährlich im Voraus zu bezahlen.

 

4.Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 16.195,35 € zzgl. hieraus Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

 

5.Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 10.422,30 € zzgl. hieraus Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

 

6.Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ab 01.01.2023 bis zum 30.09.2023, 6.381,00 € vierteljährlich im Voraus zu bezahlen.

 

7.Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ab 01.10.2023 bis zum 01.02.2054, 9.900,00 € vierteljährlich im Voraus zu bezahlen.

 

8.Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 8.588,83 € zzgl. hieraus Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

 

Die Beklagte hat beantragt,

 

die Klage abzuweisen.

 

Die Beklagte hat behauptet, sie sei am 16.12.2020 von der kassenärztlichen Vereinigung … als ehrenamtlich tätige Ärztin der Corona-Impfzentren des Landes Baden-Württemberg bestellt worden. Sie habe diese Tätigkeit am 28.12.2020 aufgenommen und sei bis 11.03.2021 in Senioren- und Pflegeheimen, darunter in der Pflegeeinrichtung in …, sowie in Einrichtungen des betreuten Wohnens in einem mobilen Impfteam aufklärend und impfend tätig gewesen.

 

Die Beklagte hat vorgetragen, alle Mitarbeiter und Bewohner der Pflegeeinrichtung seien über den Termin zur COVID-19 Impfung informiert und aufgerufen worden, sich beraten zu lassen, um dann eine freiwillige Impfentscheidung zu treffen. Die Klägerin habe der Zeugin … bei einem Telefonat am 04.01.2021 mitgeteilt, dass sie nicht zur ärztlichen Beratung kommen wolle, weil sie die Einverständniserklärung zur Impfung bereits unterschrieben und keine weiteren Fragen habe sowie keine weiteren Informationen zur Impfung wünsche. Auch eine telefonische Aufklärung, welche möglich gewesen und von anderen Mitarbeitern in Anspruch genommen worden sei, habe die Klägerin abgelehnt. Geimpft worden seien letztendlich 138 Personen.

 

Die Klägerin sei explizit nochmals von der Beklagten gefragt worden, ob sie Fragen im Zusammenhang mit der Impfung und der Aufklärung habe und ob ein Infekt bestehe oder eine andere Impfung innerhalb der letzten 14 Tage erfolgt sei. Dies sei sämtlich von der Klägerin verneint worden. Vor der zweiten Impfung am 06.02.2021 habe sich die Beklagte bei der Klägerin erkundigt, wie sie die erste Impfung vertragen habe. Die Klägerin habe angegeben, unter Armschmerzen, allgemeiner Schwäche und Müdigkeit gelitten zu haben, diese Beschwerden seien aber abgeklungen.

 

Die Beklagte hat vorgebracht, bei der Klägerin sei bis heute kein auffälliger organischer neurologischer Befund festgestellt worden. Die durchgeführten Untersuchungen zeigten keine wesentlichen Auffälligkeiten. Sollten tatsächlich Beschwerden bei der Klägerin bestehen, so seien diese nicht durch die Impfung verursacht.

 

Die Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung in erster Instanz eine weitere Zeugin benannt (Protokoll vom 13.01.2023, Bl. 175 ff. (183) d.eA. LG). Die Klägerin hat nach Schluss der mündlichen Verhandlung weitere Zeugen benannt (Bl. 186, 194, 196 d.eA. LG).

25Wegen der tatsächlichen Feststellungen und des Parteivorbringens in erster Instanz wird auf das angegriffene Urteil verwiesen (§ 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO).

 

2. Das Landgericht hat die Klage nach Vernehmung der Zeugen …, …, …, …, … und … … (Protokoll vom 13.01.2023, Bl. 175 ff. d.eA. LG) vollumfänglich abgewiesen.

 

Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, bei sogenannten Routineimpfungen bedürfe es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) für das erforderliche Aufklärungsgespräch nicht in jedem Fall einer mündlichen Erläuterung der Risiken. Unter Umständen, insbesondere bei öffentlich empfohlenen Impfungen, könne der Arzt ausnahmsweise davon ausgehen, dass der Patient auf eine zusätzlich zu einem ausgehändigten Merkblatt abgegebene gesprächsweise Risikodarstellung keinen Wert lege. Vielmehr könne es genügen, wenn dem Patienten nach schriftlicher Aufklärung Gelegenheit zu weiteren Informationen durch ein Gespräch mit dem Arzt gegeben werde.

 

Bei der streitgegenständlichen Impfung, bei der ein neuartiger mRNA-Impfstoff mit vorläufiger Zulassung durch die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) verabreicht worden sei, handle es sich zwar nicht um eine Routineimpfung im Sinne der vorgenannten Rechtsprechung. Gleichwohl seien die dargelegten vom BGH entwickelten Grundsätze zu den sogenannten Routineimpfungen auf den vorliegenden Fall zu übertragen, nachdem die Ständige Impfkommission (STIKO) eine Impfempfehlung ausgesprochen habe und die Impfung das bestimmende Thema in Politik, Gesellschaft und Medien gewesen sei. Im ersten Halbjahr 2021 habe es sich um eine Massenimpfung von Millionen Menschen gehandelt. Bei Erfordernis eines persönlichen ausführlichen ärztlichen Aufklärungsgesprächs wäre dies logistisch kaum zu leisten gewesen und hätte die Impfkampagne erheblich verzögert. Der Aufklärungspflicht sei daher Genüge getan, wenn ein Aufklärungsmerkblatt ausgehändigt worden sei und zusätzlich im mündlichen Arztgespräch die Möglichkeit zu Nachfragen bestanden habe.

 

Nach Auffassung des Landgerichts habe die Aufklärung durch die Beklagte diesem Maßstab entsprochen und sei damit ausreichend und ordnungsgemäß gewesen. Zwar könne nicht festgestellt werden, dass die Klägerin auf ein ärztliches Aufklärungsgespräch tatsächlich verzichtet habe. Nachdem sie jedoch zuvor schriftlich aufgeklärt worden sei, sei es ausreichend gewesen, dass die Klägerin bei den Impfungen Fragen habe stellen können. Das Landgericht sei auf Grundlage der Parteianhörungen und der durchgeführten Beweisaufnahme davon überzeugt, dass die Beklagte die Klägerin vor der ersten Impfung unter anderem gefragt habe, ob sie noch Fragen zur Impfung habe. Damit habe die Beklagte ihre Aufklärungspflicht im Rahmen der dargelegten rechtlichen Grundsätze ordnungsgemäß erfüllt. Die Darstellung der Beklagten zum Impfvorgang erscheine lebensnah, ihre Angaben seien konsistent, sie habe bei ihrer Anhörung auch Erinnerungslücken eingeräumt und keine übermäßige Entlastungstendenz gezeigt. Die Angabe der Klägerin, dass aufgrund enger Taktung überhaupt keine Fragen hätten gestellt werden können, erscheine dagegen nicht plausibel.

 

Die Klägerin hat dem Land Baden-Württemberg mit Schriftsatz vom 27.07.2023 den Streit verkündet.

 

 

Das Oberlandesgericht Stuttgart hat das Urteil wie folgt begründet:

 

II.

Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

 

Dabei kam es im Ergebnis nicht darauf an, ob die Klägerin durch die Beklagte ausreichend aufgeklärt wurde, sodass auch die – durch den Senat allerdings im Grundsatz bejahte – Frage nicht zu entscheiden war, ob auf Corona-Impfungen die vom BGH für Routineimpfungen entwickelten Grundsätze entsprechend anzuwenden sind. Denn die Beklagte ist bereits nicht passiv legitimiert, da sie bei der Vornahme der Impfungen hoheitlich gehandelt hat, weshalb ausschließlich Amtshaftungsansprüche gemäß § 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 Satz 1 GG in Betracht kommen.

 

1.

Das erstmals in zweiter Instanz erfolgte Vorbringen der Beklagten zur Frage der Passivlegitimation ist zu berücksichtigen, da es sich um eine reine Rechtsfrage handelt. Die ihr zugrundeliegende Tatsachengrundlage war bereits in erster Instanz vorgebracht worden.

 

2.

Die Beklagte hat nach Auffassung des Senats mit der Vornahme von Corona-Impfungen eine hoheitliche Aufgabe wahrgenommen.

 

a) In Ausübung eines ihnen anvertrauten öffentlichen Amtes gemäß Art. 34 Satz 1 GG können nicht nur Beamte, sondern auch Privatpersonen tätig werden. Dies setzt allerdings voraus, dass der Handelnde eine eigentlich einem Hoheitsträger obliegende öffentliche Aufgabe erledigt, mit deren Durchführung er außerhalb staatlicher Organisation betraut worden ist. Ob das Handeln einer Privatperson als hoheitliches Handeln einzustufen ist, hängt vom Charakter der wahrgenommenen Aufgabe, der Sachnähe der übertragenen Tätigkeit zu dieser Aufgabe und dem Grad der Einbindung der handelnden Privatperson in den staatlichen Pflichtenkreis ab (BGH, Urteil vom 18.02.2014, Az. VI ZR 383/12, beck-online Rn. 5; etwa für den notärztlichen Rettungsdienst: BGH, Urteil vom 16.09.2004, Az. III ZR 346/03). Die Tätigkeit muss in engem äußeren wie inneren Zusammenhang zu der öffentlichen Zielsetzung stehen (Kern in: Jauernig, BGB, 19. Auflage, § 839 Rn. 7). Wenn die konkrete wahrgenommene Aufgabe hoheitlicher Tätigkeit zuzuordnen ist, gilt der Private haftungsrechtlich als Beamter (Jauernig, a.a.O., Rn. 6 f.).

 

b) Das Verimpfen von Corona-Impfstoffen im Rahmen der nationalen Impfstrategie durch hierzu beauftragte Ärzte war als solche hoheitliche Tätigkeit zu qualifizieren (so auch Landgericht Dortmund vom 01.06.2023, Az. 4 O 163/22; Lafontaine in: jurisPK-BGB, 10. Auflage, § 630a Rn. 63.1, 623.1; Plagemann/Baumann, Corona-Impfschäden, COVuR 2021, Seiten 514 ff. (521 f.); Prof. Dr. Dutta, Haftung für etwaige Impfschäden, NJW 2022, Seiten 649 ff., beck-online Rn. 22ff., 34; RA auf der Heiden, NJW 2022, Seiten 3737 ff., beck-online Rn. 7 ff.; bejahend jedenfalls für die Impfung in Impfzentren und durch diesen angegliederte mobile Impfteams: Prof. Dr. Voit, PharmR 2021, Seiten 393 ff. (395); Sangs in: IfSG, 1. Auflage, § 20 Rn. 69).

 

(1) Der Staat hatte es sich im Rahmen einer breit angelegten Impfkampagne sowohl auf Bundes- als auch auf Länderebene zum Ziel gesetzt, durch möglichst flächendeckende Impfung der Bevölkerung die weltweit grassierende Corona-Pandemie einzudämmen. In diesem Zusammenhang forderten sowohl die Bundes- als auch die Landesregierung die Bevölkerung der Empfehlung der STIKO des RKI folgend (§ 20 Abs. 2a, 3 IfSG) auf, sich zum eigenen Schutz sowie zum Schutze der Allgemeinheit gegen Corona impfen zu lassen, wobei die Regierungen nach Konsultation von Expertengremien davon ausgingen, dass die Impfung bei der Eindämmung der Pandemie und insbesondere bei der Reduzierung von Todesfällen sowie schweren Krankheitsverläufen helfen könne. Der Staat warb auf seinen Homepages sowie mit Flyern und unter anderem von der Bundesregierung herausgegebenen Infoblättern für die Impfung. Die Landesregierung Baden-Württemberg unterhielt auf ihrer Homepage eine ständig aktualisierte Informationsseite mit Links zur Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) und dem RKI sowie einem FAQ-Bereich.

45(2) Es wurde sodann ein Rechtsanspruch auf die Corona-Schutzimpfung geschaffen. Nachdem zuvor das Vorliegen einer epidemische Lage von nationaler Tragweite festgestellt worden war, wurde mit § 20i Abs. 3 Satz 2 Nr. 1a) SGB V in der ab dem 19.11.2020 gültigen Fassung das BMG unter anderem dazu ermächtigt, durch Rechtsverordnung zu bestimmen, dass Versicherte Anspruch auf bestimmte Schutzimpfungen haben, auf eine Corona-Schutzimpfung insbesondere bei besonderer Vulnerabilität. Mit der Coronavirus-Impfverordnung (CoronaImpfV) vom 18.12.2020 wurde dieser Rechtsanspruch sodann umgesetzt.

 

(3) Zur Erfüllung dieses gesetzlichen Anspruchs und insbesondere zur flächendeckenden Pandemiebekämpfung durch die staatlich geförderte Impfkampagne wurden zunächst „von den Ländern oder im Auftrag der Länder“ Impfzentren eingerichtet und mobile Impfteams gebildet (§ 6 Abs. 1 CoronaImpfV in der Ursprungsfassung), die in Einrichtungen wie etwa Pflegeheimen Corona-Schutzimpfungen vornahmen. Hierfür wurden insbesondere niedergelassene und pensionierte Ärzte herangezogen. Später konnten auch „beauftragte Arztpraxen“ (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3. c) CoronaImpfV vom 31.03.2021) den Rechtsanspruch nach § 1 CoronaImpfV erfüllen, ab Ende 2021 waren sogar Zahnärzte, Apotheker und Tierärzte zur Durchführung von Impfungen befugt. Der Gesetzestext lautet diesbezüglich, dass die Impfleistungen unter anderem erbracht wurden „durch Arztpraxen, die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen [… und durch] beauftragte Arztpraxen, die nicht an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen“. Im Referentenentwurf des BMG hierzu heißt es: „Durch die immer besser werdende Verfügbarkeit der Impfstoffe ist es möglich, nunmehr auch Arztpraxen mit der Durchführung der Schutzimpfungen zu beauftragen. […] Eine flächendeckende Verimpfung durch Arztpraxen, also der an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Leistungserbringer und der ambulant privatärztlich tätigen Ärztinnen und Ärzten, sowie der Betriebsärztinnen und -ärzte wird ermöglicht. Arztpraxen und Betriebsärztinnen und -ärzte können Schutzimpfungen erbringen, wenn sie damit beauftragt sind. Die Beauftragung erfolgt durch die Zurverfügungstellung des Impfstoffs. Im Beschluss der Bundeskanzlerin und der Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder vom 3. März 2021 ist der Übergang in die nächste Phase der Nationalen Impfstrategie vorgesehen. In dieser Phase sollen die haus- und fachärztlichen Praxen, die in der Regelversorgung routinemäßig Schutzimpfungen anbieten, umfassend in die Impfkampagne eingebunden werden.“

 

(4) Die Beschaffung des den Praxen zur Verfügung gestellten Corona-Impfstoffs erfolgte durch den Bund, die Kosten der Impfungen wurden durch den Staat getragen. In § 9 CoronaImpfV wurden Vergütungsvorgaben aufgenommen, die Vergütung wurde über die Kassenärztliche Vereinigung abgerechnet und aus Bundesmitteln refinanziert (vgl. vorzitierter Referentenentwurf des BMG).

 

(5) Nach § 218g Abs. 3 SGB VII waren zunächst nur Ärzte, später auch andere Impfberechtigte, die in Impfzentren oder mobilen Impfteams tätig waren, von der Beitragspflicht zur gesetzlichen Unfallversicherung befreit. Dies erfolgte „zur Absicherung des Engagements von Ärztinnen und Ärzten, die im Interesse des Allgemeinwohls und zum Schutz von Leben und Gesundheit in der aktuellen, durch das Coronavirus SARSCoV-2 verursachten pandemischen Lage in Impfzentren oder einem mobilen Impfteam tätig werden“ (BT-Drucksache 19/26249, Seite 93; vgl. auch Schlaeger in: BeckOK Sozialrecht, 72. Edition, § 218g SGB VII Rn. 11).

 

c) Auch die Beklagte nahm bei der Vornahme der Impfungen im „…“ eine hoheitliche Aufgabe wahr.

50(1) Dabei ist davon auszugehen, dass die Beklagte – wie sie in erster Instanz vorgetragen hat (Bl. 67 d.eA. LG) – im Rahmen eines an ein Impfzentrum angegliederten mobilen Impfteams tätig geworden ist. Zwar hat die Klägerin dies mit Nichtwissen bestritten. Die Beklagte hat jedoch mit Schriftsatz vom 19.07.2022 (Bl. 87 d.eA. LG) „sämtliche Behandlungsunterlagen“ zu der Impfkampagne im „…“ vorgelegt. Daraus geht hervor, dass die streitgegenständlichen CoronaImpfungen dort durch ein „Mobiles Impfteam (MIT)“ des „Zentralen Impfzentrums (ZIZ) …“ durchgeführt wurden (Bl. 16 f. Anlagenheft Beklagte). Hieran besteht kein vernünftiger Zweifel. Die Impfzentren waren vom Land Baden-Württemberg oder in dessen Auftrag eingerichtet (§ 6 Abs. 1 CoronaImpfV in der Ursprungsfassung), dort tätige Impfärzte nahmen unzweifelhaft öffentliche Aufgaben wahr. Dies wird auch dadurch deutlich, dass sie im Interesse des Allgemeinwohls zur Sicherung einer funktionierenden Pandemiebekämpfung von der Beitragspflicht zur gesetzlichen Unfallversicherung befreit waren.

 

(2) Im Übrigen wurden aber auch zur Durchführung der nationalen Impfkampagne hinzugezogene niedergelassene Ärzte hoheitlich tätig, indem sie zum Zwecke der flächendeckenden Impfung der Bevölkerung durch die zuständigen Behörden gemäß § 20 Abs. 5 Satz 2 IfSG in Verbindung mit § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3. c) CoronaImpfV (Fassung vom 31.03.2021) mit auf staatliche Veranlassung unentgeltlich durchzuführenden Schutzimpfungen beauftragt wurden, wobei die Beauftragung der Arztpraxen nach dem der Coronavirus-Impfverordnung vorausgehenden Referentenentwurf des BMG durch Zurverfügungstellung des durch den Staat und auf Staatskosten beschafften Impfstoffs erfolgte.

523. Wenn die Staatshaftung eingreift, ist eine Eigenhaftung des hoheitlich Tätigen aber nicht denkbar (BGH, Urteil vom 18.02.2014, Az. VI ZR 383/12, beck-online Rn. 7; Urteil vom 30.11.1982, Az. VI ZR 77/81; Jauernig, a.a.O., Rn. 33). Allein Haftender ist der Staat, dessen Aufgabe durch die hoheitlich tätige Privatperson erfüllt wurde. Die Klage war somit bereits mangels Passivlegitimation abzuweisen.