Das Bayerische Oberste Landesgericht hat mit mit nunmehr veröffentlichtem Beschluss vom 24.07.2020 (Aktenzeichen: 205 StRR 216/20) klargestellt: Von dem Grundsatz, dass die Promillegrenze von 1, 1 Promille für alle Kraftfahrzeugarten gilt, im Falle der E-Scooter abzuweichen, besteht kein Anlass.
Dem Beschluss lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Das Amtsgericht verurteilte den Angeklagten am 9. Januar 2020 wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 55 €. Zudem verhängte das Amtsgericht ein Fahrverbot von 3 Monaten für Kraftfahrzeuge aller Art und entzog dem Angeklagten die Fahrerlaubnis mit einer Sperre für die Wiedererteilung vor Ablauf von 7 Monaten unter Einziehung des Führerscheins.
Nach den Feststellungen des Amtsgerichts mietete der Angeklagte während der Zeit des Oktoberfestes am 3. Oktober 2019 an der S-Bahn-Haltestelle R. Platz gegen 22.15 Uhr in München einen sog. E-Scooter mit Versicherungskennzeichen an. Er beabsichtigte, mit dem E-Scooter die Strecke bis zu seinem Hotel in etwa 300-400 m Entfernung zurückzulegen. Nachdem er eine Wegstrecke von ca. 300 m zurückgelegt hatte, wurde er auf der H.-straße von der Polizei angehalten. Die um 22.40 Uhr entnommene Blutprobe ergab eine BAK von 1,35 Promille. Das Amtsgericht sah es als erwiesen an, dass der Angeklagte seine Fahruntüchtigkeit bei kritischer Selbstprüfung habe erkennen können und müssen, und sich durch die Tat als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen habe.
Gegen die Verurteilung richtet sich die (Sprung-)Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt. Die Revision trägt unter anderem vor, der Angeklagte sei davon ausgegangen, dass für das Fahren mit einem E-Scooter die Promillegrenze für Fahrradfahrer anwendbar sei. Dies sei zudem im Hinblick auf die Vergleichbarkeit der Geschwindigkeiten eines E-Scooters mit einem Pedelec auch gerechtfertigt. Die Verhängung eines Fahrverbots sei unangebracht, da es im ländlichen Bereich, in dem der Angeklagte lebe, ein vergleichbares Angebot an führerscheinfreien Fahrzeugen nicht gebe. Angesichts des im Verhältnis zu einer Fahrt mit einem Personenkraftwagen deutlich geringeren Gefährdungspotentials einer Fahrt mit einem E-Scooter sei es zudem unangemessen, von der Regelvermutung des § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB auszugehen.
Seine Entscheidung begründete das Bayerische Oberste Landesgericht auszugsweise wie folgt:
Bei E-Scootern handelt es sich um Fahrzeuge im Sinne von § 316 StGB.
a) Fahrzeug im Sinne des § 316 StGB ist grundsätzlich jedes zur Ortsveränderung bestimmte Fortbewegungsmittel zur Beförderung von Personen oder Gütern [...]
Gemäß der seit dem 15. Juni 2019 geltenden Verordnung über die Teilnahme von Elektrokleinstfahrzeugen am Straßenverkehr (im Folgenden eKFV) werden aufgrund ihrer Motorisierung auch Elektrokleinstfahrzeuge mit elektrischem Antrieb, einer bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit von nicht weniger als 6 km/h und nicht mehr als 20 km/h und bestimmten, in § 1 eKFV genannten zusätzlichen Merkmalen als Kraftfahrzeuge im Sinne des § 1 Abs. 2 StVG eingestuft (vgl. dazu auch BR.-Drs. 158/19 Begründung A. Allgemeiner Teil Ziffer I S. 23 sowie Begründung B. Besonderer Teil zu Art. 1 Abs. 1 S. 31). Hierunter fallen auch die sog. E-Scooter im entsprechenden Leistungsbereich (Kerkmann Promillegrenzen für E-Bike, Pedelec und Co. SVR 2019, 369; Heß/Figgener Straßenverkehr unter Strom: Der E-Scooter ist überall NJW-Spezial 2019, 585).
b) Die Bewertung der Frage der alkoholbedingten absoluten Fahrunsicherheit hat das Amtsgericht rechtlich zutreffend unter Anwendung der für Kraftfahrer geltenden Promillegrenze von 1,1 Promille vorgenommen.
(1) Der Bundesgerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 28. Juni 1990 den Grenzwert für die absolute Fahruntüchtigkeit eines Kraftfahrers unter Berücksichtigung medizinischnaturwissenschaftlichen Erfahrungswerte mit 1,1 Promille festgelegt und dabei zugleich ausdrücklich ausgesprochen, dass dieser Wert für alle Führer von Kraftfahrzeugen gilt (BGH NJW 1990, 2393, 2395).
Auch wenn der Entscheidung des Bundesgerichtshofs eine Trunkenheitsfahrt eines Autofahrers zugrunde lag, hat der Bundesgerichtshof ausdrücklich klargestellt, dass dieser Grenzwert generell für (alle) Führer von Kraftfahrzeugen gilt, und dies zusätzlich durch Bezugnahme auf vorausgegangene Entscheidungen zu Kraftradfahrern (BGHSt 22, 352) sowie Fahrrädern mit Hilfsmotor, sog. Mofa 25 (BGHSt 30, 251) und auch Führen eines abgeschleppten betriebsunfähigen PKW (BGHR StGB § 316 Fahruntüchtigkeit alkoholbedingte 2, = BGHSt 36, 341) zum Ausdruck gebracht.
Dem ist die Rechtsprechung (vgl. z.B. OLG Nürnberg Beschluss vom 13. Dezember 2010 - 2 St OLG Ss 230/10 - juris Rn. 10 zum motorisierten Krankenfahrstuhl sowie OLG Hamburg Beschluss vom 19. Dezember 2016, Az: 1 Rev 76/16, juris, Rn. 7 für den sog. „Segway“; Schifffahrtsobergericht Brandenburg Urteil vom 11. Juni 2008, Az: 1 Ss 33/08, juris, Rn. 12 für die motorisierte Schifffahrt, LG München I Beschluss vom 29. November 2019 Az: 26 Qs 51/19 in VRS 138/20 S. 18, 19; LG München I Beschluss vom 30. Oktober 2019, Az: 1 J Qs 24/19 jug in VRS Bd. 138/20 S. 29, 31, inzident LG Dortmund Beschluss vom 8. November 2019 in SVR 2020, 194; LG Münster Beschluss vom 19. Dezember 2019, Az: 3 Qs-62 Js 773/19-61/19, Beck-RS 2019, 35480, Rn. 8; AG Dresden Urteil vom 11. Februar 2020, Az. 219 Cs 634 Js 55394/19, Blutalkohol 2020,188) sowie die herrschende Meinung in der Literatur (König a.a.O. § 316 Rn. 67; Fischer StGB 67. Aufl. § 316 Rn. 25; Pegel in Münchener Kommentar zum StGB 3. Aufl. § 316 Rn. 37; Hecker in Schönke/Schröder StGB 30. Aufl. § 316 Rn. 8; Burmann in Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke Straßenverkehrsrecht 26. Aufl. § 316 Rn. 22; speziell zu E-Scootern: Kerkmann Trunkenheitsfahrt mit dem E-Scooter NZV 2020, 161; Heß/Figgener Straßenverkehr unter Strom: Der E-Scooter ist überall NJW-Spezial 2019, 585; Engel Promillegrenze bei E-Scootern-Wo ist das Problem DAR 2020, 16, 17; a.A. Schefer Kritische Anmerkungen zur absoluten Fahruntüchtigkeit beim Führen eines EScooters NZV 2020, 239) gefolgt.
(2) Von dem Grundsatz, dass die Promillegrenze von 1, 1 Promille für alle Kraftfahrzeugarten gilt, im Falle der E-Scooter abzuweichen, besteht kein Anlass.
15Elektrokleinstfahrzeuge werden in § 1 Abs. 1 eKFV aufgrund ihres elektrischen Antriebs als Kraftfahrzeuge eingestuft. Sie unterliegen damit den für Kraftfahrzeuge geltenden Regelungen im Straßenverkehrsrecht, soweit nicht für Elektrokleinstfahrzeuge ausdrücklich abweichende Regelungen geschaffen wurden. Das ist hinsichtlich der Vorschriften zum Alkohol im Straßenverkehr nicht der Fall. Im Übrigen würde auch ein eigener Grenzwert für jede Fahrzeugart zu einer verwirrenden Vielfalt von Werten und Begriffen für die Verkehrsteilnehmer führen, was schon aus praktischen Gründen bedenklich wäre (so schon BGHSt 22, 352, 359).
c) Die Feststellungen tragen schließlich auch die Annahme des Amtsgerichts, der Angeklagte habe zumindest fahrlässig im Sinne des § 316 Abs. 2 StGB gehandelt, als er sich mit einer BAK von 1, 35 Promille zur Fahrt mit dem E-Scooter entschloss.
17Soweit das Amtsgericht die Einlassung des Angeklagten dahin wiedergibt, dass er nicht davon ausgegangen sei, „dass E-Scooter straßenverkehrsrechtlich wie Autos einzustufen seien“, versteht der Senat dies aufgrund der nachfolgenden Anmerkung des Amtsgerichts dazu, dass sich der Angeklagte mit einer BAK von 1, 35 Promille auch nicht allzu weit vom Wert der absoluten Fahruntüchtigkeit für Radfahrer befunden habe, dahingehend, dass der Angeklagte geltend macht, er habe darüber geirrt, dass bei einer Fahrt mit einem E-Scooter der absolute Grenzwert von 1,1 Promille für Kraftfahrzeuge anzuwenden sei und nicht der für Fahrräder mit 1, 6 Promille.
Insoweit ist allerdings zu berücksichtigen, dass die Bedeutung absoluter Grenzwerte, wie sie derzeit unter anderem für die alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit im Zusammenhang mit dem Führen von Kraftfahrzeugen anerkannt ist, darin liegt, dass bei ihrem Vorliegen ein Gegenbeweis gegen die Fahruntüchtigkeit nicht mehr möglich ist (König LK a.a.O.§ 316 Rn. 76f). Die Grenzwerte stellen daher keine Tatbestandsmerkmale dar, sondern lediglich eine Art Beweisregel für das Vorliegen der Fahruntüchtigkeit. Daher müssen sie auch nicht vom Vorsatz umfasst sein (BGH NJW 2015, 1834). Der Fahrzeugführer muss den jeweiligen Wert überhaupt nicht kennen, da Umstände der Beweisführung für den subjektiven Tatbestand, wie auch in anderen Fällen, irrelevant sind (König LK a.a.O. § 316 Rn. 188).
d) Anhaltpunkte dafür, dass der Angeklagte nicht schuldhaft handelte, liegen nicht vor.
202. Auch die Strafzumessung ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
Da ein Verbotsirrtum, den das Amtsgericht angenommen hat, nicht vorlag, bestand keine Möglichkeit zur Verschiebung des Strafrahmens. Mit dem Einwand, es wäre zur Einwirkung auf den Angeklagten ausreichend gewesen, eine geringere Geldstrafe zu verhängen, setzt die Revision lediglich ihre eigene Würdigung an die Stelle derjenigen des Amtsgerichts. Einen Rechtsfehler zeigt sie insoweit nicht auf. Ergänzend wird auf die Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Antragsschrift vom 11. Mai 2020 Bezug genommen.