Dieselskandal: BMW muss Schadensersatz für N47-Motor wegen Thermofenster zahlen

Als eines der ersten Gerichte nach den viel beachteten BGH-Urteilen vom 26.06.2023 hat sich das Landgericht Frankenthal positioniert und einem Käufer, der am 06.07.2016 ein BMW Cabrio 120d (ausgestattet mit dem Motor N 47, Euro 5) gekauft hatte, pauschalen Schadensersatz in Höhe von 10 % des Kaufpreises zugesprochen (Urteil vom 05.07.2023 – 6 O 335/22). Das Gericht hat festgestellt, dass BMW eine unzutreffende Übereinstimmungsbescheinigung ausgestellt hat, da in dem Fahrzeug tatsächlich ein sog. Thermofenster eingebaut war.

Der Urteilstenor lautet:

 

I. Das Versäumnisurteil vom 13.03.2023 wird im nachfolgenden Umfang aufrechterhalten:

 

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin EUR 2.589 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 14.02.2023 zu zahlen.

 

2. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klägerin entstandenen Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von EUR 357,98 freizustellen.

 

II. Im Übrigen wird das Versäumnisurteil aufgehoben und die Klage abgewiesen.

 

III. Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 3/4 und die Beklagte 1/4 zu tragen.

 

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für die Klägerin jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags. Die Klägerin kann eine Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleitung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

 

Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde:

 

Die Klagepartei nimmt die Beklagte im Zusammenhang mit dem Abgasskandal in Anspruch.

 

2

Die Klagepartei erwarb am 06.07.2016 ein Fahrzeug der Beklagten Modell 120d Cabrio mit dem Motor N 47, Euro 5 bei einem Kilometerstand von 21.000 km zu einem Kaufpreis in Höhe von 25.890 € (Anlage K 1f. d.A.).

 

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Das Fahrzeug hat sie bei einem Kilometerstand von 46.460 km zu einem Preis in Höhe von 15.500 € weiterveräußert. Die Klagepartei trägt vor, dass das Fahrzeug vom sogenannten Abgasskandal betroffen wäre und unzulässige Abschalteinrichtungen insbesondere in der Form eines Thermofensters und der Funktion „hot restart“ aufweisen würde. Eine Manipulation ergäbe sich aus der Funktionsweise des OBD. Die Manipulationen ergäben sich insbesondere aus einer Vielzahl von durchgeführte Abgasmessungen Den ursprünglichen Klageanträgen hat die Kammer mit Versäumnisurteil vom 13.03.2023 vollständig entsprochen und wie folgt entschieden:

 

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin EUR 8.518,27 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 17. Juni 2021 zu zahlen.

 

2. Es wird festgestellt, dass der in Antrag zu 1) bezeichnete Anspruch aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung der Beklagten herrührt.

 

3. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klägerin entstandenen Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von EUR 2.296,70 freizustellen.

 

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Hiergegen hat die Beklagte mit Schreiben vom 17.03.2023 Einspruch eingelegt.

 

5

Mit Schriftsatz vom 30.05.2023 hat die Klagepartei die Anträge aus der Klageschrift mit der Maßgabe wiederholt, dass im Antrag zu 1) nunmehr ein Betrag in Höhe von 8.652,84 € geltend gemacht wurde.

 

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Zuletzt beantragt die Klagepartei:

 

Das Versäumnisurteil vom 13.03.2023 wird nach Maßgabe des Schriftsatzes vom 30.05.2023 aufrecht erhalten.

 

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Die Beklagte beantragt

 

das Versäumnisurteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

 

8

Die Beklagte trägt vor, dass in dem Fahrzeug keine Abschalteinrichtung oder ein sonstiges Bauteil verbaut worden wäre, das einen Schadensersatzanspruch der Klagepartei rechtfertigen würde.

 

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien und die Gerichtsakte Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe:

 

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Die zulässige Klage ist teilweise begründet.

 

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A. Die Klagepartei kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, ihr sei von der Beklagten in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich ein Schaden zugefügt worden (§ 826 BGB), obwohl grundsätzlich das Inverkehrbringen eines Fahrzeugs, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung oder vergleichbaren Vorrichtung versehen ist, eine solche Schädigung darstellen kann.

 

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I. Ein Anspruch kann nicht mit der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Gestalt eines Thermofensters begründet werden, nachdem jedenfalls eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung nicht nachgewiesen ist.

 

13

Bei einer (behaupteten) die Abgasreinigung beeinflussenden Motorsteuerungssoftware, die vom Grundsatz her im normalen Fahrbetrieb in gleicher Weise arbeitet wie auf dem Prüfstand und bei der Gesichtspunkte des Motor-, respektive des Bauteilschutzes als Rechtfertigung ernsthaft erwogen werden können, kann bei Fehlen jedweder konkreter Anhaltspunkte nicht ohne weiteres unterstellt werden, dass die Verantwortlichen bei der Beklagten in dem Bewusstsein agiert haben, möglicherweise eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden. Vielmehr muss in dieser Situation eine möglicherweise falsche, aber dennoch vertretbare Gesetzesauslegung und -anwendung durch die Organe der Beklagten in Betracht gezogen werden. Eine Sittenwidrigkeit kommt daher hier nur in Betracht, wenn auch Anhaltspunkte dafür erkennbar wären, dass dies von Seiten der Beklagten in dem Bewusstsein geschah, hiermit möglicherweise gegen die gesetzlichen Vorschriften zu verstoßen, und dieser Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen wurde. Solche Anhaltspunkte hat die Klagepartei weder vorgetragen, noch sind diese anderweitig ersichtlich.

 

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Die europarechtliche Gesetzeslage war an dieser Stelle – zumindest bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 17.12.2020 – nicht unzweifelhaft und nicht eindeutig. Dies zeigt bereits die kontrovers geführte Diskussion über Inhalt und Reichweite der Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 2 Satz 2 a VO (EG) 715/2007. Auch nach Einschätzung der vom Bundesverkehrsministerium (BMVI) eingesetzten Untersuchungskommission „Volkswagen“ liegt ein Gesetzesverstoß durch die von allen Autoherstellern eingesetzten Thermofenster jedenfalls nicht eindeutig vor (OLG Koblenz (12. Zivilsenat), Urteil vom 08.02.2021 – 12 U 471/20).

 

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Unter Berücksichtigung der dargelegten, aus den Gesamtumständen erkennbaren Bewusstseinslage der Beklagten fehlt es daher hier in Bezug auf das Thermofenster mangels feststellbaren sittenwidrigen Handelns jedenfalls in subjektiver Hinsicht an der Tatbestandsmäßigkeit i.S.d. § 826 BGB.

 

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Aus dem Parteivortrag zum Typengenehmigungsverfahren vor dem Kraftfahrtbundesamt ergeben sich keine Anhaltspunkte für eine vorsätzliche, sittenwidrige Schädigung. Hierzu wäre erforderlich, dass die Beklagte vorsätzlich unzutreffende Angaben über die Arbeitsweise des Abgasrückführungssystems gemacht hat (BGH, Beschluss vom 19.1.2021 – VI ZR 433/19 – SVR 2021, 100). Die Klagepartei hat keinerlei konkreten Vortrag zum Inhalt des Prüfverfahrens gehalten.

 

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Die mit Schriftsatz vom 20.01.2023 vorgelegten Unterlagen, lassen keinen Rückschluss zu, über welche konkrete Funktion dort überhaupt seitens der Firma Bosch ein Vortrag gehalten wurde und rechtfertigen daher auch keinen Rückschluss auf ein sittenwidriges Handeln hinsichtlich der Verwendung eines Thermofensters. Hinzu kommt, dass die für die Beklagte teilnehmende Person nicht namentlich erkennbar ist und daher eine Zurechnung der entsprechenden Kenntnis zu den verantwortlich Handelnden Personen im Rahmen eines Anspruchs gemäß § 826 BGB aus Sicht der Kammer nicht möglich ist.

 

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II. Von der Verwendung der weiter behaupteten Funktion „hot restart“ kann nach dem Akteninhalt nicht ausgegangen werden. Soweit die Klagepartei hierunter eine Emmissionsminderungsstrategie des streitgegenständlichen Fahrzeuges behauptet, bei welcher bei einem warmen Start des Motors mehr Abgase ausgestoßen würden als bei einem für den NEFZ typischen Kaltstart, kann hiervon für das streitgegenständlichen Fahrzeug nicht ausgegangen werden. Die Beklagte hat als Anlage B 4 ein gerichtliches Sachverständigengutachten vorgelegt, wonach diese Funktion ausgeschlossen werden kann. Das Gutachten bezieht sich, anders als die von der Klägerin mitgeteilten Messwerte, auf ein mit dem streitgegenständlichen Fahrzeug typengleiches Fahrzeug BMW 120d, Euro 5, mit dem Motor N47.

 

Ausweislich der Darstellungen auf S. 19 (Bl. 467 d.A.) hat das vergleichbare, begutachtete Fahrzeug zweimal hintereinander den NEFZ durchlaufen, damit beim zweiten Versuch die Abgaswerte bei einem Warmstart gemessen werden konnten. Hierbei hat sich nach den dargestellten Messergebnisse und der Auswertung im Gutachten keine nenneswerte Abweichung ergeben. Hierauf geht die Klagepartei in ihrer Erwiderung nicht ein.

 

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III. Aus der von der Klagepartei vorgetragen Funktionsweise des OBDSystems ergibt sich ebenfalls kein Anspruch. Die Beklagte ist diesem Vortrag entgegengetreten und hat eine Manipulation des OBD-Systems in Abrede gestellt.

 

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Die Klagepartei hat nicht belastbar dargelegt, in welcher Art und Weise eine Manipulation des OBD-Systems in dem streitgegenständlichen Fahrzeug tatsächlich vorgenommen worden sein soll. Insofern wäre vorzutragen gewesen, worin die eigentliche Manipulation lag? Wie ging diese vonstatten? (OLG Koblenz (12. Zivilsenat), Urteil vom 08.02.2021 – 12 U 471/20). Insofern war der Vortrag der Klagepartei nicht ausreichend.

 

21

Darüber hinaus ist ein auf die Programmierung des OBD gestützter Anspruch ausgeschlossen, selbst wenn man unterstellen wollte, dass dieses im normalen Straßenverkehr sowie im Rahmen der Abgasuntersuchung und der Inspektion keine Fehlfunktion des Abgassystemes anzeigt hat, obwohl, jedenfalls auch aufgrund des verbauten Thermofensters für den Testbetrieb geltende Abgaswertgrenzen im realen Fahrbetrieb überschritten worden sein sollten. Denn wenn – wie hier – die behaupteten Abschalteinrichtungen (insbesondere das Thermofenster) auch und gerade im Hinblick auf das dadurch beeinflusste weitere Emissionsverhalten nicht als vorsätzliche sittenwidrige Schädigung angesehen werden kann, führt auch der Umstand, dass das OBD diesen möglichen Trugschluss nachvollzieht, nicht zu einem Ersatzanspruch der Klagepartei. Wenn das OBD die nicht als sittenwidrig zu qualifizierende Verwendung des Thermofensters und die hierdurch beeinflusste Abgasrückführung nachvollzieht und die Warnlampe im Realbetrieb gerade nicht schon dann anspringt, wenn die angebliche Grenzwertüberschreitung allein auf der Verwendung des Thermofensters beruht, ist jedenfalls nicht von einer sittenwidrigen Schädigung auszugehen (OLG Karlsruhe Urt. v. 30.10.2020 – 17 U 296/19, BeckRS 2020, 29048 Rn. 60). Wenn die Beklagte die Verwendung des Thermofensters und dessen Auswirkungen für zulässig erachten durfte, musste sie das OBD auch nicht dergestalt programmieren, dass es die Auswirkungen des Thermofensters als Fehlfunktion einordnet. Anhaltspunkte für weitere Manipulationen innerhalb des OBD sind nicht ansatzweise nachvollziehbar vorgetragen oder belegt worden.

 

 

22

IV. Weitere Abschalteinrichtungen sind ebenfalls nicht hinreichend vorgetragen worden. Die Klagepartei hat insoweit selbst lediglich auf die „Fahrzeugflotte der Beklagten“ (Bl. 17 d.A.) Bezug genommen und ausdrücklich „insbesondere“ auf das Thermofenster und das „hot restart“ abgestellt (Bl. 18 d.A.).

 

23

B. Die Klagepartei hat keinen Anspruch auf Gewähr des großen Schadensersatzes gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV. Der Schutz der vorgenannten Regelungen erstreckt sich nicht auf das Interesse des Käufers, nicht an dem Vertrag festgehalten zu werden (BGH Urt. v. 26.6.2023 – VIa ZR 335/21, BeckRS 2023, 15117 Rn. 18ff).

 

24

C. Ein Anspruch auf Erstattung des Differenzschadens gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV besteht im Umfang der Urteilsformel. Dieser ist von der Klagepartei geltend gemacht worden, nachdem die Klägerin sich aufgrund der Veräußerung des Fahrzeuges dessen Restwert anrechnen lässt.

 

25

I. Die europarechtlichen Vorschriften sind nach der Rechtsprechung des BGH und des EuGH nunmehr zugunsten von Käufern als drittschützende Schutzgesetze anerkannt (vgl. BGH Urt. v. 26.6.2023 – VIa ZR 335/21, BeckRS 2023, 15117 Rn. 20ff, m.w.N.).

 

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II.

Ein Gesetzesverstoß ergibt sich daraus, dass die Beklagte eine unzutreffende Übereinstimmungsbescheinigung ausgestellt hat.

 

Unzutreffend ist eine Übereinstimmungsbescheinigung, wenn das betreffende Kraftfahrzeug mit einer gemäß Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 unzulässigen Abschalteinrichtung ausgerüstet ist, weil die Bescheinigung dann eine tatsächlich nicht gegebene Übereinstimmung des konkreten Kraftfahrzeugs mit Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 ausweist.

 

27

Unter welchen konkreten Umständen eine unzulässige Abschalteinrichtung vorliegt, richtet sich nach Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007. Bei der Subsumtion unter Art. 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 ist nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs auf die Verwendung des Fahrzeugs unter Fahrbedingungen abzustellen, wie sie im gesamten Unionsgebiet üblich sind.

 

28

Vorliegend ist zu Lasten der Beklagten von der Implementation eines unzulässigen Thermofenster auszugehen. Der EuGH hat entschieden, dass eine Software für Dieselfahrzeuge, die die Wirkung des Emissionskontrollsystems bei üblichen Temperaturen und während des überwiegenden Teils des Jahres verringert, als eine unzulässige Abschalteinrichtung zu qualifizieren ist (EuZW 2022, 1073)

 

29

Insofern hat die Klagepartei das Vorhandensein eines Thermofensters oder einer vergleichbaren Abhängigkeit der Abgasreinigung von den Außentemperaturen durch Bezugnahme auf Messergebnisse zu vergleichbaren Motoren hinreichend dargelegt. Insofern wird beispielsweise auf die insoweit nicht bestrittenen Messergebnisse zum baugleichen Motor N 47 Bezug genommen, wie sie im Schriftsatz vom 30.05.2023 dargestellt sind und woraus sich ergibt, dass es bei einer Absenkung der Außentemperatur außerhalb des mit der Klageschrift vorgetragenen Temperaturbereichs es sowohl im NEFZ, als auch unter anderen Bedingungen zu einem deutlichen Anstieg des NOxAussstoßes kommt. Insofern ist das pauschale Bestreiten der Beklagten, dass eine wie in der Klageschrift beschriebene Funktion nicht verbaut worden sei, nicht ausreichend.

 

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III. Gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV genügt ein fahrlässiger Verstoß für die Haftung (BGH Urt. v. 26.6.2023 – VIa ZR 335/21, BeckRS 2023, 15117 Rn. 38).

 

31

Zwar trifft hinsichtlich des Verschuldens als anspruchsbegründender Voraussetzung gemäß § 823 Abs. 2 BGB gewöhnlich den Anspruchsteller die Darlegungs- und Beweislast (BGH, Urteil vom 13. Dezember 1984 – III ZR 20/83, NJW 1985, 1774, 1775 mwN). Jedoch muss derjenige, der objektiv ein Schutzgesetz verletzt hat, Umstände darlegen und erforderlichenfalls beweisen, die geeignet sind, die daraus folgende Annahme seines Verschuldens in Form einer Fahrlässigkeit auszuräumen. Insofern besteht eine von der objektiven Schutzgesetzverletzung ausgehende Verschuldensvermutung (BGH Urt. v. 26.6.2023 – VIa ZR 335/21, BeckRS 2023, 15117 Rn. 59).

 

32

Der Verschuldensvermutung steht nicht die Ausgestaltung der europäischen Vorgaben entgegen. Dass die Klägerin sich insofern konkret hätte beraten lassen ist nicht erkennbar (BGH Urt. v. 26.6.2023 – VIa ZR 335/21, BeckRS 2023, 15117 Rn. 60).

 

33

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den vorgelegten Auskünften des Kraftfahrtbundesamtes (Anlagen B3aff). Ein entlastend wirkender Verbotsirrtum setzt zunächst voraus, dass die Beklagte die Rechtslage unter Einbeziehung der höchstrichterlichen Rechtsprechung sorgfältig geprüft hat und bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt mit einer anderen Beurteilung durch die Gerichte nicht zu rechnen brauchte (BGH Urt. v. 26.6.2023 – VIa ZR 335/21, BeckRS 2023, 15117 Rn. 63). Insofern ist weder eine konkrete Prüfung der Beklagten vorgetragen worden, noch warum zum damaligen Zeitpunkt mit einer Beurteilung entsprechend der jetzt vorliegenden Judikatur des EuGH zur Einordnung des Thermofensters als Abschalteinrichtung nicht zu rechnen war.

 

34

IV.

Zur Erwerbskausalität kann sich die Klagepartei bei der Inanspruchnahme der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV auf den Erfahrungssatz stützen, dass sie den Kaufvertrag zu diesem Kaufpreis nicht geschlossen hätte (vgl. zum „kleinen“ Schadensersatz BGH, Urteil vom 6. Juli 2021 – VI ZR 40/20, BGHZ 230, 224 Rn. 21).

35Für die Anwendung eines solchen Erfahrungssatzes ist nicht von Bedeutung, ob dem Käufer bei dem Erwerb des Kraftfahrzeugs die vom Fahrzeughersteller ausgegebene unzutreffende Übereinstimmungsbescheinigung vorgelegen und ob er von deren Inhalt Kenntnis genommen hat (BGH Urt. v. 26.6.2023 – VIa ZR 335/21, BeckRS 2023, 15117 Rn. 55-57).

 

36

V.

Die Klagepartei hat hiernach einen Anspruch auf Erstattung des Vermögensschadens im Sinne der Differenzhypothese. Der Geschädigte wird durch Gewährung des Differenzschadens wegen der Enttäuschung des Käufervertrauens so behandelt, als wäre es ihm in Kenntnis der wahren Sachlage und der damit verbundenen Risiken gelungen, den Vertrag zu einem niedrigeren Preis abzuschließen. Sein Schaden liegt daher in dem Betrag, um den er den Kaufgegenstand mit Rücksicht auf die mit der unzulässigen Abschalteinrichtung verbundenen Risiken zu teuer erworben hat. Insofern unterscheidet sich der Anspruch auf Ersatz eines Differenzschadens gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV nicht von dem unter den Voraussetzungen der §§ 826, 31 BGB zu gewährenden „kleinen“ Schadensersatz. Die damit einhergehende, zeitlich nicht absehbare Unsicherheit, das erworbene Kraftfahrzeug jederzeit seinem Zweck entsprechend nutzen zu dürfen, setzt den objektiven Wert des Kaufgegenstands im maßgeblichen Zeitpunkt der Vertrauensinvestition des Klägers bei Abschluss des Kaufvertrags herab, weil schon in der Gebrauchsmöglichkeit als solcher ein geldwerter Vorteil liegt (BGH Urt. v. 26.6.2023 – VIa ZR 335/21, BeckRS 2023, 15117 Rn. 40f).

 

37

Die Bemessung des Schadens erfolgt hierbei gemäß § 287 Abs. 1 Satz 1 ZPO unter Würdigung aller Umstände. Hierbei ergibt sich aus unionsrechtlichen Vorgaben die Begrenzung der Schadensschätzung innerhalb einer Bandbreite zwischen 5% bis 15% des gezahlten Kaufpreises (BGH Urt. v. 26.6.2023 – VIa ZR 335/21, BeckRS 2023, 15117 Rn. 72).

38Vorliegend schätzt die Kammer den Schaden auf 10% des Kaufpreises. Im maßgeblichen Zeitpunkt des Vertragsschlusses am 06.07.2016 dürfte das Risiko von Auflagen seitens der Behörden vergleichsweise gering gewesen sein, nachdem das Kraftfahrtbundesamt selbst nach diesem Zeitpunkt noch nach Kenntnis der Kammer die Auffassung vertreten hat, dass ein Thermofenster keine unzulässige Abschalteinrichtung darstellen würde. Ob und inwiefern sich dies nachträglich geändert hat, ist nach der Rechtsprechung des BGH nicht maßgeblich, wobei der Kammer bis heute keine flächenddeckenden Auflagen bei mit Thermofenstern versehenen Fahrzeugen bekannt sind.

 

39

Demgegenüber wird das unionsrechtliche Ziel der Einhaltung gewisser Emissionsgrenzwerte durch jede Abschalteinrichtung erheblich beeinträchtigt. Konkret ist in Angesicht der oben in Bezug genommenen Abgaswerte davon auszugehen, dass es durch die Konfiguration des Fahrzeuges zu einer erheblichen Steigerung der Schadstoffwerte gekommen ist. Durchgreifende Anhaltspunkte dafür, dass von einem erheblichen oder besonders geringgradigen Verschulden auszugehen wäre, kann die Kammer nicht erkennen. Im Ergebnis beläuft sich der Schaden der Klägerin hiernach auf 2.589 €.

 

40

VI.

Ein Vorteilsausgleich ist grundsätzlich nicht ausgeschlossen, aber im vorliegenden Fall nicht anzurechnen. Nutzungsvorteile und der Restwert des Fahrzeugs sind erst dann und nur insoweit schadensmindernd anzurechnen, als sie den Wert des Fahrzeugs bei Abschluss des Kaufvertrags (gezahlter Kaufpreis abzüglich Differenzschaden = vorliegend: 23.301 €) übersteigen.

 

41

Die Klagepartei hat das Fahrzeug unstreitig für einen Preis in Höhe von 15.500 € veräußert, was den Restwert hinreichend belegt. Zuzüglich der anzurechnenden Nutzungsvorteile unter Berücksichtigung eines Kilometerstandes beim Kauf von 21.000 km und beim Weiterverkauf von 46.460 €, übersteigt die Summe des Restwertes und der Gebrauchsvorteile selbst bei Annahme einer von der Kammer für realistisch gehaltenen zu erwartenden Gesamtlaufleistung von 250.000 km den Wert des Fahrzeugs bei Abschluss des Kaufpreises nicht, sodass ein Vorteilsausgleich nicht zu berücksichtigen ist.

 

42

D.

Ein Anspruch auf Erstattung der Verzugszinsen besteht erst ab Rechtshängigkeit, nachdem der außergerichtlich geforderte Betrag jedenfalls deutlich überhöht war. Eine Zuvielmahnung, die weit übersetzt ist, ist ganz wirkungslos (MüKoBGB/Ernst, 9. Aufl. 2022, BGB § 286 Rn. 67).

 

43

E.

Ein vorsätzliches Handeln im Sinne des Antrages zu 2) kann nicht festgestellt werden. Insoweit wird auf die Erwägungen zur Ablehnung der Feststellung einer Sittenwidrigkeit Bezug genommen. Die Kammer geht vorliegend lediglich von einem fahrlässigen Handeln aus.

 

44

F.

Als Teil des unter Lit. C. dargestellten Schadensersatzanspruchs besteht ein Anspruch auf Erstattung der außergerichtlichen Anwaltskosten in Höhe einer 1,3 Gebühr aus dem Wert des Obsiegens der Klagerpartei nebst Auslagenpauschale und der geltend gemachten Mehrwertsteuer in Höhe von 16%. Bei erkennbar aus unzähligen Textbausteinen bestehenden Ausführungen, ist eine über die Regelgebühr hinausgehende Gebühr nicht in Ansatz zu bringen. Hieraus ergeben sich geschuldete Anwaltskosten in Höhe von 357,98 €.

 

45

G. Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 1, 708 Nr. 11, 709, 711 ZPO.

Beschluss

 

46

Der Streitwert wird innerhalb der Gebührenstufe bis 9.000 € festgesetzt.