OLG Bamberg: Keine generelle Haftungsbeschränkung der Impfstoffhersteller

Wie in unserem Blog vom 26.04.2023 berichtet, hatte das Landgericht Hof hat als eines der ersten Gerichte eine Klage gegen den Impfhersteller AstraZeneca abgewiesen. Eine Frau hatte starke gesundheitliche Beschwerden, die sie auf eine Impfung mit dem Corona­-Impfstoff Vaxzevria des britisch-schwedischen Herstellers zurückführt. Sie verlangt Schmerzensgeld und Schadenersatz. Mit Urteil vom 03.01.2023 (Aktenzeichen: 15 O 22/21) wurde die Klage abgewiesen. Beim Oberlandesgericht Bamberg wurde die Sache am 03.07.2023 (az.: 4 U 15/23) verhandelt. Nun ist das Oberlandesgericht wieder in die Verhandlung eingetreten und hat den Parteien den nachstehenden Hinweis erteilt. Darin hat das Oberlandesgericht zum Ausdruck gebracht, dass keine generelle Haftungsbeschränkung für die die Impfstoffhersteller besteht. Es beabsichtigt vielmehr ein Sachverständigengutachten in Auftrag zu geben. 

I.

Es wird erneut in die mündliche Verhandlung eingetreten.

 

II.

Der Senat erteilt folgende Hinweise:

 

1.

Zur Frage eines Informationsfehlers im Rahmen der Haftung nach § 84 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 2 AMG ist beabsichtigt, ein Sachverständigengutachten einzuholen.

 

a)

Die Klägerin trägt hierzu vor, dass der Beklagten bereits im Zeitpunkt der Impfung Informationen über die möglichen Komplikationen vorgelegen haben, die später in die geänderte Fachinformation eingeflossen seien, dass es schon vor dem Impftag Untersuchungen mit auffälligen thromboembolischen Ereignissen gegeben habe und dass der Beklagten schon vorher bekannt gewesen sei, dass Vektorimpfstoffe zur Bildung von PF4 Antikörpern führen würden (Schriftsatz vom 02.04.2022, Seite 2 ff.).

 

b)

Die Haftung besteht nach § 84 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AMG nur, wenn der Schaden infolge einer fehlerhaften Instruktion eingetreten ist. Es genügt also nicht, dass der Schaden durch das Arzneimittel verursacht wurde und die Arzneimittelinformation fehlerhaft war. Vielmehr muss der Schaden gerade auf die fehlerhafte Arzneimittelinformation zurückgehen (doppelte Kausalität). Damit stellt sich die Frage, ob der Schaden bei ordnungsgemäßer Arzneimittelinformation mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vermieden worden wäre (Kügel/Müller/Hofmann, AMG, AMG § 84 Rn. 110, beck online).

 

Um die beweisrechtlichen Anforderungen an den Anwender nicht zu überspannen, genügt es hier, wenn er vergleichbar zur nicht ordnungsgemäßen ärztlichen Aufklärung einen echten Entscheidungskonflikt darlegt (BeckOGK/Franzki, 1.4.2023, AMG § 84 Rn. 59).

Unter Berücksichtigung des bisherigen Verfahrenslaufs, der erfolgten informatorischen Anhörung der Klägerin und des allgemein bekannten Ablaufs der Impfkampagne erscheint nach vorläufiger Bewertung durch den Senat ein Entscheidungskonflikt der Klägerin plausibel. Hierbei ist insbesondere zu berü cksichtigen, dass die STIKO am 01.04.2021 ihre Empfehlung für die Impfung jüngerer Patienten eingeschränkt hat (Anlage B 10, Seite 6), nachdem die Beklagte am 19.03.2021 ihre Fachinformationen im Hinblick auf sehr seltene Fälle von Thrombozytopenie und Gerinnungsstörungen bei Frauen unter 55 Jahren ergänzt hatte (Anlage B 9). Bei lebensnaher Betrachtungsweise wird davon auszugehen sein, dass eine Impfung der 1990 geborenen Klägerin im Falle einer entsprechenden Fachinformation der Beklagten zum Zeitpunkt de s Inverkehrbringens des Impfstoffs Vaxzevria mit diesem Impfstoff nicht mehr stattgefunden hätte, weil zu diesem Zeitpunkt bereits andere Impfstoffe zur Verfügung standen, und damit auch ein Entscheidungskonflikt anzunehmen ist.

In dieser Situation obliegt es der Beklagten, den Nachweis über die fehlende Kausalität zu führen (BGH, Beschluss vom 21. Juni 2022 - VI ZR 310/21 -, Rn. 8, juris).

 

c)

Eine Haftungsbeschränkung nach § 3 Abs. 4 MedBVSV dürfte vorliegend ausscheiden. Nach § 3 Abs. 4 MedBVSV wird die H aftung der Hersteller nur wegen der auf § 3 Abs. 1 MedBVSV gestützten Abweichungen beschränkt. Es handelt sich hingegen nicht um eine generelle Haftungsbegrenzung.

 

Der Hersteller hat die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen des § 3 Abs. 4 Satz 1 und 2 MedBVSV dafür, dass hypothetisch auch die Verletzung einer der in § 3 Abs. 1 MedBVSV suspendierten Vorschriften den Schaden verursacht haben könnte (Dutta NJW 2022, 649 Rn. 16, beck online). Er hat den Vollbeweis (§ 286 ZPO) dafür zu erbringen, dass die auf § 3 Abs. 1 MedBVSV gestützten Abweichungen geeignet gewesen sind, den Schaden zu verursachen, anderenfalls greift der Haftungsausschluss nicht (auf der Heiden NJW 2022, 3737 Rn. 25, beck online; BeckOGK/Franzki, 1.4.2023, AMG § 84 Rn. 61).

 

Die Beklagte trägt hierzu nicht vor, welche konkrete Verletzung einer suspendierten Vorschrift den Schaden verursacht hat oder haben könnte. Die Beklagte trägt insoweit lediglich pauschal die Abweichung von §§ 10, 11 und 11a AMG vor. Andererseits soll eine fehlerfreie Kennzeichnung, Fachinformation und Gebrauchsinformation (§§ 10, 11, 11a AMG) des Impfstoffs sowie eine EU weite Zulassung vorgelegen haben.

 

Auch ist fraglich, ob unter Zugrundelegung des Wortlauts, der Referentenentwürfe und europarechtlicher Vor schriften der Haftungsausschluss überhaupt für Covid 19 Impfstoffe greift, da diese ohne Abweichungen vom AMG zugelassen worden sind. Insoweit wird vertreten, dass eine Haftung des pharmazeutischen Unternehmers nach § 84 AMG nicht ausgeschlossen sei (Voit in Tagungsbericht zu den 25. Marburger Gesprächen zum Pharmarecht, PharmR 2022, 469, beck online).

Des Weiteren wurde der Impfstoff der Beklagten nicht durch das Bundesministerium in Verkehr gebracht (vgl. § 3 Abs. 4 Satz 1 MedBVSV). Vielmehr hat die Bekla gte den Impfstoff aus dieser Produktionscharge am 28.02.2021 in Verkehr gebracht (Klageerwiderung vom 28.01.2022, Seite 19).

 

d)

Zur in der Literatur umstrittenen Frage des Zeitpunkts, der für die Richtigkeit der Fachinformation maßgeblich ist, weist der Se nat darauf hin, dass diesbezüglich noch keine Festlegung beabsichtigt ist (vgl. zum Streit BeckOGK/Franzki, 1.4.2023, AMG § 84 Rn. 104f. m.w.N.). In Betracht kommen hier der Zeitpunkt des Inverkehrbringens am 28.02.2021 und der Tag der Impfung am 10.03.202 1. Es ist beabsichtigt, den Gutachtensauftrag alternativ auf beide Zeitpunkte zu beziehen.

 

2.

Zur Haftung nach § 84 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AMG weist der Senat darauf hin, dass eine Haftung wegen bereits im Zeitpunkt der Zulassung bekannten schädlichen Wirkungen, die im Rahmen der umfangreichen Prüfung der Arzneimittelzulassung als vertretbar eingestuft wurden, nicht in Betracht kommt (vgl. Kügel/Müller/Hofmann, AMG, AMG § 84 Rn. 69, beck online; BeckOGK/Franzki, 1.4.2023, AMG § 84 Rn. 67; Rehmann, 5. Aufl. 2020, AMG § 84 Rn. 5). Ein Schadensersatzanspruch nach § 84 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 AMG scheidet aus, wenn die von der Klägerin geltend gemachte Nebenwirkung bereits bei Zulassung des Arzneimittels bekannt gewesen ist und der Zulassung nicht entgegengestanden hat (BGH, Urteil vom 12. Mai 2015 VI ZR 328/11 ––, BGHZ 205, 270 287, Rn. 28).

Während des Zulassungsprozesses hatten der PRAC und die EMA bereits Kenntnis von den Risiken eines TTS. Hierzu kann auf die umfangreichen Ausführungen im Ersturteil (LGU 6ff.) verwiesen werden.

 

Nach Auffassung des Senats bedarf es daher einer substantiierten Darlegung, dass nach der Zulassungsentscheidung vom 31.10.2022 neue Erkenntnisse aufgetreten sind, bei deren Berücksichtigung eine andere Zulassungsentscheidung veranlasst gewesen wäre (vgl. Hinweis im Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 03.07.2023, S. 5). Hinreichender Vortrag liegt insoweit bislang nicht vor.

[...]

 

 

Stellungnahme der Kanzlei Stenz & Rogoz:

In der Rechtsprechung und Rechtsliteratur tritt Bewegung ein. Kürzlich wurde der aufsehenerregende Artikel von Rechtsanwalt Carlos A. Gebauer und Prof. Dr. Katrin Gierhake in Heft 31/2023 Neuen Juristischen Wochenschrift (NJW 2023, 2231 ff.) veröffentlicht. Darin wurde überzeugend dargestellt, wie hoch die Aufklärungspflichten der Impfärzte in Bezug auf die nicht zugelassenen Impfstoffe waren. 

 

Nun hat das OLG Bamberg den Weg bereitet, um Schadensersatzansprüche gegen Impfstoffhersteller geltend zu machen. Ausreichende Anhaltspunkte für eine Haftung der Beklagten wegen „unvertretbarer schädlicher Wirkungen“ des Impfstoffs (§ 84 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AMG) sieht der Senat zwar nicht. Hierzu wäre es wohl erforderlich, dass nach der Zulassung des Impfstoffs am 31.10.2022 neue Erkenntnisse aufgetreten wären, die einer Zulassung entgegengestanden hätten. Die von der Klägerin angeführten Nebenwirkungen seien jedoch schon im Zeitpunkt der Zulassung bekannt gewesen und bei dieser berücksichtigt worden. Im Hinblick auf eine von der Klägerin behauptete Haftung der Beklagten wegen „unzureichender Arzneimittelinformation“ (§ 84 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 AMG) beabsichtigt der Senat dagegen, ein Sachverständigengutachten einzuholen. Der Senat geht derzeit davon aus, dass die Klägerin nicht mit dem Impfstoff der Beklagten geimpft worden wäre, wenn das Risiko einer Darmvenenthrombose in der Fachinformation der Beklagten dargestellt gewesen wäre. Gegenstand des Gutachtens wäre die Frage, ob eine Darstellung in der Fachinformation nach dem damaligen wissenschaftlichen Stand geboten war. 

 

Wir werden an dieser Stelle berichten, wie der Prozess vor dem OLG Bamberg weitergeht. 

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